Sipho ist gewiss kein Vorzeige-Mann. Der Cousin einer der Projektteilnehmerrinnen von Amakhosikazi hat selbst durchaus Anteil an der Marginalisierung von Frauen in Südafrika. So ist der siebenfache Vater offenkundig nie an einer langfristigen Beziehung mit einer der sechs Mütter seiner Kinder interessiert gewesen. Möglicherweise war er hierzu aber auch nie in der Lage. Etwa deshalb nicht, weil ihm entsprechende Vorbilder fehlten, da er selbst bereits ohne Vater aufgewachsen ist, was die Vernachlässigung seiner eigenen Kinder sowie deren Mütter freilich nicht entschuldigt. Umso überraschender ist indes, dass sogar das Verhältnis zur wichtigsten Bezugsperson aus Siphos Kindheit, nämlich seiner Mutter, bereits seit Jahren weitgehend zerrüttet ist. Es scheint als habe er sich von seiner Familie und seiner Verwandtschaft schlichtweg entfremdet.

Trotz allem hat Sipho es geschafft, seinem vormals weitgehend unsteten Lebenswandel in letzter Zeit wieder mehr Struktur zu geben. Es gab weder sexuelle Abenteuer noch Drogen, Alkohol oder andere Eskapaden. Darüber hinaus geht Sipho seit geraumer Zeit einer regelmäßigen Arbeit nach, und zwar als Taxifahrer. Ein Beruf, der jedoch von jeher mit gewissen Risiken verbunden ist – nicht nur in Südafrika: ständiger, sehr naher Kontakt mit Kund:innen, die i.d.R. unbekannt und somit auch weitgehend unberechenbar sind. Hinzu kommt, dass Taxifahrer:innen rund um Pretoria oftmals Gang-ähnliche Gemeinschaften bilden, die nicht selten untereinander verfeindet sind. So kommt es gerade in der Provinz Gauteng leider immer wieder zu Schießereien mit Todesfolge.[i]

Obwohl Sipho in derlei kriminelle Aktivitäten nicht verwickelt ist, bleibt das relativ hohe Berufsrisiko als Taxifahrer, welches nach Einbruch der Dunkelheit im Großraum Pretoria nochmals deutlich ansteigt. Dies zeigte sich auf tragische Weise am vergangenen Donnerstagabend: Sipho war bereits kurz davor, Feierabend zu machen. Er wollte gerade einen seiner letzten Fahrgäste absetzen. Es handelte sich um eine junge Frau, die darum gebeten hatte, Sipho möge sie vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft in der Nähe ihres Hauses aussteigen lassen, um noch ein paar letzte Besorgungen machen zu können. Sipho entsprach diesem Wunsch, brachte seinen weißen Kleinbus vor dem Eingang des Ladens zum Stehen und die Frau stieg aus.

Erst als diese das Fahrzeug bereits verlassen hatte, sahen beide wie plötzlich mehrere Männer fluchtartig aus dem Geschäft stürmten. Beiden war wohl umgehend klar, dass es sich um einen Überfall gehandelt haben musste. Während Sipho sich zu diesem Zeitpunkt im Innern des Taxis in relativer Sicherheit befand, schwebte die Frau nun in akuter Gefahr. Einerseits hatte sie keinen schützenden Kleinbus um sich und zum anderen war sie als Frau schon allein aufgrund ihres Geschlechts einem statistisch um ein Vielfaches höheren Risiko ausgesetzt, Opfer einer Gewalttat zu werden.[ii] Dies wurde umso deutlicher als die mutmaßlichen Täter sich gezielt auf die Frau zubewegten, so als wollte sie ihren Diebstahl nun noch mit einer Entführung, Schutzgelderpressung oder gar Vergewaltigung krönen oder zumindest eine lästige Zeugin ausschalten. In jedem Fall war klar: sofortige Hilfe ist erforderlich.

Das erkannte auch Sipho. Geistesgegenwärtig sprang er aus dem Fahrzeug und eilte auf die Frau zu, um sich schützend vor sie zu werfen bzw. zu stellen. In diesem Moment bemerkten auch die Täter ihn und einer von ihnen zückte eine Waffe. Es fiel ein Schuss. Nur Sekunden später waren der Schütze sowie die anderen Diebe verschwunden – genauso plötzlich wie sie aufgetaucht waren. Sipho hingegen lag am Boden. Polizei und Ambulanz wurden alarmiert. Als diese am Tatort eintrafen, konnten sie allerdings nur noch Siphos Tod feststellen. Er war inzwischen seinen inneren Blutungen erlegen. Der einzige Dienst, den die Rettungs- und Sicherheitskräfte Sipho noch erweisen konnten war, die Kugel, die ihn getötet hatte, seiner Mutter zu übergeben zusammen mit der Nachricht, dass e sein Leben geopfert hatte, um das einer Unbekannten zu retten.

Obschon das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ein zuletzt sehr distanziertes war, steht außer Frage, dass es für Siphos Mutter nun ein unfassbares Leid bedeutet, ihr eigenes Kind zu Grabe tragen zu müssen. Der größte Trost für die Familie ist der Umstand, dass Sipho nicht sinnlos gestorben ist. Sein Tod hat genau das bewirkt, woran er im Leben so oft gescheitert ist: er hat einer Frau ein neues Leben ermöglicht.

Zugleich zeigt dieser tragische Fall jedoch auch, dass geschlechtsbezogene Gewalt, selbst wenn sie sich eigentlich gegen Frauen als die vermeintlich wehrloseren Opfer richtet, durchaus auch Männer trifft und treffen kann. Es ist davon auszugehen, dass Fälle dieser Art sogar zunehmen. Insgesamt sind die Fallzahlen im Bereich sexueller Nötigung seit Beginn der Pandemie in Südafrika um ca. 5% angestiegen, die Anzahl an Morden sogar um 6,7%. Konkret bedeutet dies, dass allein zwischen April und Juni 2021 in Südafrika 5.760 Menschen getötet und 10.006 Menschen vergewaltigt worden sind[iii] – wobei es sich hierbei lediglich um die offizielle Kriminalstatistik handelt. Wenn man bedenkt, dass durchschnittlich lediglich eine von insgesamt 25 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht wird,[iv] ist klar, dass die Dunkelziffer im Bereich sexueller Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Mädchen, um ein Vielfaches höher liegt.

Eine derartig hohe Kriminalitätsrate, vor allem im Bereich sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen, kann eine geradezu lähmende Wirkung haben. Wer jedoch den Status Quo als Normalität akzeptiert, hat den Kampf bereits aufgegeben. Siphos tragische Geschichte zeigt jedoch, dass eine Transformation möglich ist und diese bei dem und der Einzelnen anfangen muss. Diese Erkenntnis ist nicht nur im südafrikanischen Kontext zutreffend, sondern weltweit.


[i] The Citizen. 2021. Taxi Violence: Gauteng Urged Not to Give Same Routes to Different Associations. 18. Oktober. Verfügbar unter: https://www.citizen.co.za/news/south-africa/local-news/2749029/johannesburg-taxi-violence-santco-18-october-2021/

[ii] Brankovic, Jasmina. 2019. Research Brief: What Drives Violence in South Africa? Johannesburg: Centre for the Study of Violence and Reconciliation. S. 4. Verfügbar unter: https://media.africaportal.org/documents/What-Drives-Violence-in-South-Africa.pdf

[iii] Cele, Bheki. 2021. Quarter One Crime Statistics 2021/2022. Pretoria: South African Government. Verfügbar unter: https://www.gov.za/speeches/minister-bheki-cele-quarter-one-crime-statistics-20212022-20-aug-2021-0000

[iv] Machisa, Mercilene et al. 2011. The War at Home: Gender Based Violence Indicators Project. Johannesburg: Gender Links & South African Medical Research Council. S. 9. Verfügbar unter: https://www.saferspaces.org.za/uploads/files/GenderLinks-13452_begin_war_at_home.pdf