Upside Down House, Hartbeespoort

Was vielen Deutschen in Südafrika meist sehr schnell auffällt, ist dass es hier, mit Ausnahme des Gautrain[i], der allerdings nur zwischen Pretoria und Johannesburg verkehrt, praktisch keinen öffentlichen Personennahverkehr gibt, der mit europäischen Standards vergleichbar wäre. Das unangefochtene Verkehrsmittel der Wahl ist das Auto. Somit besteht leider keine Möglichkeit, in Zeitschriftenläden zu stöbern wie es sie in Deutschland an allen größeren und auch vielen kleineren Bahnhöfen gibt.

Wer das gelegentlich schon getan hat, der bzw. die wird ggf. bemerkt haben, dass vor allem in kleineren Läden die Zeitschriften meist im Wesentlichen nach zwei Kriterien kategorisiert sind, nämlich Geschlecht und Alter – Ersteres meist in Spalten, Letzteres in Zeilen. Wer also vor einem entsprechenden Regal steht und die Zeitschriften von oben nach unten bzw. von jung nach alt begutachtet, bekommt einen Eindruck davon, wie deutsche Verleger:innen sich eine typische Biografie innerhalb ihrer jeweiligen Zielgruppe vorstellen und welche Interessen sie dementsprechend bedienen möchten.

Bei den Regalen mit den Männerzeitschriften lässt sich hierbei häufig eine interessante Dreiteilung beobachten: oben Superheldencomics, in der Mitte erotische Hochglanzmagazine, unten Modellbau. Auf den ersten Blick mag es so erscheinen als hätten diese drei Themenbereiche sehr wenig gemein und doch, meine ich, ist bei genauerer Betrachtung durchaus ein roter Faden erkennbar.

Die besagten Comics – meist wahlweise aus dem Hause Marvel bzw. DC – handeln in der Regel von mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten Protagonisten, die das Böse, Bedrohliche und Unberechenbare in der Welt besiegen bzw. bekämpfen oder sonst irgendwie domestizieren. Die folgende Kategorie der Erotikmagazine, sog. Schmuddelhefte, beinhaltet im Wesentlichen softpornografische Darstellungen von Frauen, die sich in puncto Pose und (mangelnder) Bekleidung völlig devot, um nicht zu sagen willenlos, demgegenüber verhalten, was mann sich offenbar im Geheimen wünscht, die jedoch mit der Realität ebenso wenig zu tun haben wie die zuvor erwähnten Superhelden. Die dritte Kategorie schließlich, nämlich die der Modellbaumagazine, befasst sich mit dem Versuch, eine eigene Welt im Miniaturmaßstab zu erschaffen, die zwar nicht notwendigerweise weniger kompliziert sein muss als die Realität, aber zumindest weniger komplex, wodurch sie letztlich zu einem vorhersagbaren und kontrollierbaren System wird.

Unterm Strich lässt sich also feststellen, dass alle drei Themenbereiche die Tendenz haben, der Realität entfliehen zu wollen und zudem immer wieder um das Prinzip der Kontrolle und der Dominanz kreisen. Ob in dieser Hinsicht die Nachfrage das Angebot bestimmt oder eher das Angebot die Nachfrage ist sicher schwer zu beantworten. Letztlich bedingen beide einander.

In jedem Fall lässt sich hieraus jedoch ableiten, dass in großen Teilen der Bevölkerung offenbar das ausgeprägte Streben nach Kontrolle und Dominanz als typische, ja sogar wesentliche männliche Eigenschaft betrachtet wird.

Nun sind, wie gesagt, derartige Zeitschriftenläden in Südafrika verhältnismäßig selten, was auch damit zu tun hat, dass die Kulturen des Landes häufig eher oral als literal geprägt sind. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass das als männlich definierte Streben nach Kontrolle und Dominanz hier unbekannt wäre. Es äußert sich lediglich anders.

So berichtet bspw. Sihle[ii], eine Mitte 40-Jährige Witwe und Mutter von drei Kindern aus der Ethnie der Zulu, von Formen der Wiederheirat, die Frauen in höchstem Maße bevormunden und benachteiligen. Die häufigste Form der Wiederheirat ist in diesem Fall die Levirats- oder auch Schwagerehe, die in vielen patrilinealen Kulturen praktiziert wird und auch aus der Bibel (Dtn 25,5-10) bekannt ist. Hierbei wird eine noch kinderlose Witwe von einem nahen Verwandten des verstorbenen Mannes, in der Regel einem jüngeren Bruder, geehelicht, um auf diese Weise für Nachwuchs zu sorgen, der dann – zumindest im Falle des Erstgeborenen – als Nachwuchs des verstorbenen Gatten gilt. Da Polygamie innerhalb der Kultur der Zulu durchaus üblich ist – verschiedene Reality-TV-Formate in Südafrika befassen sich explizit mit dieser Praxis – ist die Leviratsehe selbst dann möglich, wenn der Bruder des verschiedenen Ehemannes bereits verheiratet ist.

Eine ähnliche Form der Wiederheirat kommt gelegentlich dann zum Tragen, wenn die Ehefrau ihrem Gatten vor dessen Tod bereits Kinder zur Welt gebracht hatte. In diesem Fall ist das vorrangige Ziel der Wiederheirat eine bessere Versorgung der Kinder.

In beiden Fällen hat eine Witwe jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, den ihr vorgeschlagenen Bräutigam abzulehnen, wenn sie z.B. den Eindruck hat, dass die Persönlichkeiten von beiden nicht harmonieren (würden). Wie Sihle allerdings weiter berichtet, wird Witwen dieses Vetorecht nur allzu oft aberkannt, und zwar vor allem dann, wenn der verstorbene Ehemann wohlhabend war und seine Herkunftsfamilie meint, Anspruch auf das entsprechende Erbe erheben zu können.

Auf diese Weise werden schließlich kulturelle Gepflogenheiten, die eigentlich ein soziales und ethisches Zusammenleben ermöglichen bzw. sichern sollen, in ihr genaues Gegenteil verkehrt: statt sich nach den Bedürfnissen von Frau und Kindern auszurichten, wird zuungunsten beider eine Zwangsheirat vollzogen, die nicht selten aufgrund der zu erwartenden Diskrepanzen zwischen den Eheleuten in häusliche Gewalt mündet. Das moralische Wertesystem wird also auf den Kopf gestellt – ähnlich dem Haus im obigen Bild. Sihle selbst ist dieses Schicksal glücklicherweise erspart geblieben. Vielen anderen Frauen jedoch leider nicht. Eine wachsende Zahl südafrikanischer Wissenschaftlerinnen setzt sich deshalb kritisch mit der beschriebenen Praxis der Wiederheirat auseinander.

Freilich ließe sich auch die einseitig patriarchale Polygamie als solche sowie das ausschließlich patrilineal motivierte Levirat auf sexistische Aspekte hin untersuchen und kritisieren. Ziel dieses Blogs ist jedoch nicht, eine bestimmte Kultur zu be- oder gar zu verurteilen, sondern ein Bewusstsein für physische, psychische, sexuelle oder, wie in diesem Fall, strukturelle Gewalt gegen Frauen zu schaffen. Schließlich hängt diese nicht selten mit einer gesellschaftlichen Legitimation männlicher Dominanz- und Kontrollfantasien zusammen, die, wie eingangs gezeigt, in Deutschland nicht weniger virulent ist als in Südafrika.

Darüber hinaus zeigen die kritischen Publikationen von einheimischen Wissenschaftlerinnen und sonstigen Autor:innen, dass gesellschaftliche Transformation durchaus gewollt und somit auch möglich ist. Das lässt hoffen!


[i] Kofferwort aus „Gauteng“ (Sesotho: „Ort des Goldes“), Name der Provinz rund um die beiden Metropolen, und „train“ (Engl.: „Zug/Bahn“)

[ii] Name geändert