Im Nachgespräch eines Interviews, das ich vergangene Woche im Rahmen von Amakhosikazi – Portraying Women mit einer jungen Frau führte, die im vergangenen Jahr entführt worden war und einer Vergewaltigung nur knapp entging, haben sie und ich uns auch über mögliche Maßnahmen unterhalten, die derartige Taten evtl. verhindern könnten. Sichtlich aufgebracht schlug sie vor, analog zur Vorgehensweise einiger afrikanischer sowie islamischer Kulturen zu verfahren. So wie dort im Falle eines Diebstahls die stehlende Hand des:der Dieb:in amputiert wird, solle man auch an Vergewaltigern eine Kastration bzw. Penektomie durchführen. Dies sei ihnen dann mit Sicherheit eine Lehre.

Zweifelsohne erscheint bereits der bloße Gedanke an eine solche Form der Bestrafung barbarisch. Dennoch, meine ich, ist es wichtig, diesen oder ähnliche Gedanken wahrzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Schon allein deshalb, weil er etwas von der Schwere des Traumas erahnen lässt, das Frauen erleben, die Opfer einer (versuchten) Vergewaltigung werden bzw. geworden sind. Ein Begriff, der in meinen bisherigen Gesprächen besonders häufig fiel, ist der Begriff „Gerechtigkeit“. Das ist es, wonach offenkundig sehr viele Opfer sich sehnen. Angesichts der ihnen angetanen physischen und psychischen Schmerzen sowie der teilweise verheerenden sozialen Folgen, erscheinen die oben erwähnten Maßnahmen durchaus angemessen, wenn nicht sogar milde.

Dennoch hat die vorgeschlagene Vorgehensweise einen entscheidenden Nachteil: zum Zwecke der Prävention ist sie praktisch nicht zu gebrauchen. Jede Bestrafung, egal wie hart oder wie milde sie auch ausfallen mag, setzt ja immer bereits eine Tat voraus. Strafen können deshalb per se keine Taten verhindern, sondern sie lediglich ahnden. Je nachdem wie schwer eine solche Ahnung schlussendlich ausfällt, mag sie zwar eine abschreckende Wirkung entfalten, dennoch behandelt sie letztlich nur ein Symptom, nicht aber die Wurzel des Problems, nämlich die Marginalisierung von Frauen in der Gesellschaft und die damit einhergehende Legitimierung von Gewaltanwendung gegen sie.

Ähnlich äußert sich auch die südafrikanische Politikwissenschaftlerin Hannah E. Britton,[i] die an der Debatte um geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen und Mädchen die einseitige Betrachtungsweise bemängelt, welche sich fast ausschließlich um strafrechtliche Möglichkeiten dreht. Nicht nur bekomme der Aspekt der Prävention hierdurch zu wenig Raum, sondern auch die allgemeine Aufmerksamkeit verschiebe sich von den Opfern fast vollständig auf die Täter. Um dies zu vermeiden, ist sie um einen gesamtgesellschaftlichen Blick auf die Problematik bemüht und identifiziert hierbei vier Kernbereiche, in denen sie mehr Engagement zum Schutz von Frauen fordert. Die von ihr identifizierten Bereiche sind Orte, Personen, Polizei und Anlaufstellen (place, people, police, points of contact).

Örtlich sind vor allem viele schwarze Frauen aufgrund der durch die Apartheid geprägten Geschichte Südafrikas benachteiligt. Da etliche dieser Frauen weder auf dem Land, noch in Großstädten, sondern außerhalb von Metropolen wie Pretoria, Johannesburg, Kapstadt oder Durban in sog. Townships leben, die nur über eine geringe Infrastruktur verfügen, ist in Situationen akuter Bedrohung durch physische oder sexuelle Gewalt praktische Hilfe oftmals zu weit entfernt, also faktisch unerreichbar. Um dies zu ändern braucht es den zweiten von Britton identifizierten Handlungsbereich, nämlich den der konkreten Personen. Gemeint sind hiermit in erster Linie Autoritätspersonen. Da Südafrika kulturell durch eine verhältnismäßig hohe Machtdistanz geprägt ist, viele Dinge also sehr hierarchisch organisiert werden, ist es wichtig, anerkannte Repräsentant:innen einzelner Familien, Stämme, Kirchen, bürgerlicher Gemeinden, Townships und sonstiger Gemeinschaften für den Kampf gegen geschlechtsbezogene Gewalt zu gewinnen. Neben diesen beiden lokalen Handlungsbereichen muss jedoch auch eine Verknüpfung zu nationalen Institutionen geschaffen werden. Hierbei sieht Britton vor allem die letzten der beiden oben genannten Bereiche in der Verantwortung, nämlich einerseits die Polizei und andererseits weitere Anlaufstellen bspw. für Aufklärungsarbeit, psychologische Unterstützung oder auch Traumabegleitung, von denen es immer noch zu wenige gibt.

Es bleibt jedoch die Frage, wie in einem Land, in dem physische, sexuelle und emotionale Gewalt so normal geworden sind, dass knapp die Hälfte aller Frauen sie schon allein durch den eigenen Partner erfahren,[ii] eine gesamtgesellschaftliche Motivation zur Beendigung dieser Formen der Gewalt gelingen kann. Im Hinblick auf diese Frage ist ein theologischer Impuls der griechischen Alttestamentlerin Myrto Theocharous sehr bemerkenswert. In einem 2021 erschienenen Artikel[iii] befasst sie sich mit dem biblischen Prinzip der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Hierbei mahnt sie vor allem den einseitigen Umgang mit diesem Prinzip an. Es sei, so Theocharous, theologiegeschichtlich zu beobachten, dass die Ebenbildlichkeit Gottes in aller erster Linie den Schwachen, Benachteiligten oder auf andere Weise Marginalisierten der jeweiligen Gesellschaft zugesprochen werde. Dies sei zwar nicht falsch, entspreche aber nicht dem Kerngedanken der hebräischen Autor:innen. Tatsächlich ist in der Bibel die Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen fast immer verbunden mit Begriffen wie „Herrschaft“ oder „Macht“ und auch aus antiken ägyptischen Texten geht hervor, dass insbesondere gekrönte Häupter, also Herrschende, als Ebenbilder Gottes bezeichnet und betrachtet wurden. Theocharous schließt hieraus, dass sich die Rede vom Ebenbild Gottes zwar sekundär auch als Zuspruch an die Ohnmächtigen richtet, primär jedoch als Anspruch an die Mächtigen. Der konkrete Anspruch besteht demnach darin, sich gottgemäß, d.h. verantwortungsvoll gegenüber seinen (Mit-) Geschöpfen, insbesondere seiner (Mit-) Menschen, zu verhalten.

Dies mag zunächst als schiere Selbstverständlichkeit anmuten, ist aber aktuell, nicht nur in Südafrika, sondern nahezu weltweit, alles andere als selbstverständlich. In Südafrika erscheinen die aktuellen Zustände aber vor allem deshalb besonders beschämend, weil nahezu 80% aller Südafrikaner:innen einer christlichen (oder jüdischen) Konfession angehören,[iv] sich also genau zu Werten wie etwa der oben erwähnten Verantwortung gegenüber Mitmenschen bekennen. Hinzu kommt noch, dass zu diesen knapp 80% keineswegs nur sozial Schwache und Marginalisierte gehören, sondern vielfach auch hohe Verantwortungsträger:innen. So ist bspw. Mogoeng Mogoeng, der Vorsitzende des südafrikanischen Verfassungsgerichts, auch als Laienprediger in der fundamental-christlichen Winner’s Chapel aktiv.[v] Und sogar der ehemalige Staatspräsident Jacob Zuma, der als äußerst korrupt gilt und sich 2006 selbst wegen Vergewaltigungsvorwürfen vor Gericht verantworten musste, ist seit 2007 ordinierter Pastor einer charismatischen Freikirche.[vi]

Dies allein dürfte schon zur Genüge illustrieren, dass die von Hannah E. Britton geforderte Gewinnung von Autoritätspersonen als Advokat:innen im Kampf gegen geschlechtsbezogene Gewalt die mit Abstand schwierigste der von ihr beschriebenen Aufgaben sein dürfte. Schwierig bedeutet jedoch nicht unmöglich!


[i] Britton, Hannah E. 2020. Ending Gender-Based Violence: Justice and Community in South Africa. Urbana: University of Illinois Press.

[ii] Machisa, Mercilene et al. 2011. The War at Home: Gender Based Violence Indicators Project. Johannesburg: Gender Links. Online verfügbar unter: https://genderlinks.org.za/wp-content/uploads/imported/articles/attachments/13452_begin_war_at_home.pdf

[iii] Theocharous, Myrto 2021. The Image of God and Justice. In Meitzner Yoder, Laura S. (Hg.), Living Radical Discipleship: Inspired by John Stott. Langham Global Library. 35-46.

[iv] Burger, Delien (Hg.) 2012. South Africa’s People. In Burger, Delien (Hg.), Pocket Guide to South Africa 2011/2012. Pretoria: Government Communications. 9-14. Online verfügbar unter: https://www.gcis.gov.za/content/resourcecentre/sa-info/pocket-guide-south-africa-20112012

[v] Plessis, Charl du 2013. Mogoeng and the Prophet. City Press. 19. Mai. Online verfügbar unter: https://web.archive.org/web/20130522202203/http://www.citypress.co.za/news/mogoeng-and-the-prophet/

[vi] Zuma’s No Pastor of Ours, Says Church. 2007. Mail & Guardian. 8. Mai. Online verfügbar unter: https://mg.co.za/article/2007-05-08-zumas-no-pastor-of-ours-says-church/